In Deutschland befinden wir uns derzeit in der „vierten Welle“ der COVID-19 Pandemie. Ich möchte einige Zahlen zur Pandemie in Deutschland aufbereiten und erkläre dabei Begriffe, die häufig – und manchmal ungenau – verwendet werden.
Ich nutze für die Darstellung Daten des RKI mit COVID-19 Zahlen bis einschließlich 05.12.2021 und Daten aus dem Zensus für Bevölkerungszahlen.
Bevor ich auf Zahlen zu sprechen komme, möchte ich aber gerne die fundamentale Unterscheidung zwischen SARS-CoV-2 und COVID-19 ins Gedächtnis rufen.
Begriffserklärung: Infektionen, SARS-CoV-2 und COVID-19
In Medien werden meist „Infektionszahlen“ berichtet. Der Begriff „Infektionen“ ist leider assoziativ stark mit Krankheit verknüpft und wird undifferenziert verwendet.
Meist wird „Infektionen“ mit der Bedeutung positiver Tests auf SARS-CoV-2 verwendet. Es geht um das Testergebnis, aber nicht darum, ob der „Infizierte“ Symptome entwickelt und wie schwer diese sind. Der Fokus sind Testergebnisse, nicht Krankheit.
Gleichzeitig bezeichnet „Infektionen“ aber auch die Zahl aller Menschen, die den Virus in sich hatten/haben. Wenn diese Personen keine Symptome haben und sich nicht testen lassen, waren sie infiziert, tauchen aber in keiner Statistik auf. Diese Gruppe von Menschen verbirgt sich hinter der Dunkelziffer.
Die wahre Zahl der Infektionen ergibt sich folglich aus: Infektionen = positive Tests + Dunkelziffer. Wenn alle Menschen immer getestet werden, ist Infektionen = positive Tests.
SARS-CoV-2 ist der Name des Corona-Virus dieser Pandemie. Es gibt noch viele andere Corona-Viren, die z.B. eine einfach Erkältung auslösen können.
COVID-19 steht für „Corona Virus Induced Disease“ – also die Krankheit die durch SARS-CoV-2 Viren ausgelöst werden kann. Ein COVID-19 Fall wird meist definiert als die Kombination eines positiven SARS-CoV-2 Testes plus spezifischer Symptome (z.B. Husten, Fieber, Lungenentzündung, Atemnot, Geruchs- und Geschmacksverlust). Über die genaue Definition eines COVID-19 Falles herrscht immer wieder Uneinigkeit. Die Leitlinien der WHO, was einen COVID-19 Fall definiert haben sich während der Pandemie geändert.
Sind Personen mit positivem SARS-CoV-2 Test aber ohne Symptome nun COVID-19 Fälle? Einerseits sind sie mit dem Virus „infiziert“ (positiver Test), zeigen jedoch keine Krankheitssymptome, haben also die Krankheit COVID-19 nicht.
Es wäre wünschenswert hier zu differenzieren und transparent zu machen, was jeweils hinter berichteten Infektionszahlen steckt.
Auf Basis dieser Unterscheidung werde ich fortlaufend von „Positiven Tests“ und nicht „Infektionszahlen“ sprechen. Das RKI berichtet positive Tests, die von den Gesundheitsämtern gemeldet werden. Informationen zu Symptomen liegen nicht vor. D.h. eine Aussage darüber, ob Menschen krank sind, ist auf Basis dieser Daten nicht möglich, deswegen blende ich das aus.

In Deutschland leben laut Zensus (siehe oben) 83.166.711 Menschen. Natürlich verändert sich diese Zahl jeden Tag, aber ich nehme sie als Absprungbasis.
Von diesem Menschen hatten bisher 7,4% einen positiven Test auf SARS-CoV-2. (Zumindest, wenn man annimmt, dass keine Person zwei positive Tests hatte.)
Bis einschließlich 05.12. wurden 103.113 Tote mit positivem SARS-CoV-2 Testergebnis berichtet. Das sind 0,12% der Bevölkerung Deutschlands. Hier wird ein Dilemma der Pandemie greifbar. Lass folgende Schlagzeilen auf dich wirken:
- Mehr als 100.000 Menschen mit COVID-19 gestorben!
- 99,88 % aller Menschen überleben Pandemie!
Objektiv, bezogen auf die Datenbasis, sind die Aussagen identisch und wahr. Subjektiv liegen Welten zwischen den Aussagen. Es obliegt der Sorgfalt des Autors, genau so wie der Aufmerksamkeit des Lesers, Informationen angemessen zu verarbeiten.
Aus oben dargestellten Zahlen lassen sich Kennwerte berechnen, die seit Beginn der Pandemie verwendet und kommuniziert werden. Leider werden auch diese Werte meist eher undifferenziert verwendet. Es handelt sich um Inzidenz und Sterblichkeitsrate.
Begriffserklärung: Inzidenz und Sterblichkeitsrate
Die 7-Tage Inzidenz je 100.000 Einwohner, meist einfach als „Inzidenz“ bezeichnet gibt an, wie viel Prozent der Menschen in einem Land, Bundesland oder Kreis innerhalb er letzten 7 Tage positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurden.
Letztlich ist die Inzidenz eine Prozentzahl. Eine 7-Tage Inzidenz von 1.000 je 100.000 Einwohner besagt, dass 1 % der Einwohner einen positiven Test hatten. Dass man den Begriff „Inzidenz“ statt der Prozentzahlen verwendet hat vermutlich rein pragmatische Gründe. „Inzidenz 100“ erscheint griffiger als „0,1 % aller Menschen haben einen positiven Test“. Inhaltlich sind die Aussagen wieder identisch.
Daraus ergibt sich, dass die Inzidenz je 100.000 Einwohner über den gesamten Pandemieverlauf beträgt für Deutschland derzeit (05.12.2021) 7.400 (7,4 %).
Die Zahl der Toten (103.113) geteilt durch die Zahl positiven Tests (6.153.807) ergibt die Sterblichkeitsrate: CFR = 1,68 %
1,68% der Menschen mit positivem Testergebnis starben in Deutschland. 98,32 % der Menschen überlebten ihr positives Testergebnis.
CFR steht für Case Fatality Rate und bezeichnet den Anteil der bekannten Fälle (positive Tests), die tödlich enden. Sie ist die empirisch gemessene Tödlichkeit eines Virus.
IFR steht für Infection Fatality Rate und bezeichnet den Anteil aller „Infektionen“ (Virus im Körper) die tödlich enden. Sie ist die theoretisch wahre Tödlichkeit eines Virus.
Die Unterscheidung von IFR und CFR ist wichtig und hängt sehr stark vom Testverhalten ab. In der Regel gibt es eine Dunkelziffer von Infektionen. D.h. es werden weniger positive Tests berichtet als Infektionen existieren.
Als Beispiel: In der bekannten „Heinsberg-Studie“ wurden im Mai 2020 für die 1. Welle in Heinsberg eine Gesamt Inzidenz von ca. 15.500 (15,5%), eine IFR von 0,37 % sowie eine CFR von knapp 2 % ermittelt.
Die Betrachtung des gesamten Zeitraums ist spannend, betrifft jedoch nur eine hohe Flugebene. In den knapp 2 Jahren Pandemie haben sich viele Rahmenbedingungen verändert. Seit Anfang 2021 sind Impfstoffe gut verfügbar, die Teststratgie wurde immer wieder angepasst und das Virus hat sich verändert. Der „Wildtyp“ wurde von Delta abgelöst und nun schickt sich Omikron an das Ruder zu übernehmen.
Ich finde es spannend verschiedene Zeitbereiche der Pandemie miteinander zu vergleichen und habe mir dafür die zweite und vierte Welle ausgesucht:

In der Grafik sind Anzahl positiver Tests und Tote normalisiert dargestellt. So sind die sehr unterschiedlichen absoluten Zahlen vergleichbar. Allein diese Darstellung und der Vergleich der drei Wellen ist äußerst spannend. Die detaillierte Interpretation überlasse ich dem Leser.
Ich habe die 2. Welle (01.10.2020 bis 28.02.2021) und die aktuell laufende 4. Welle (01.08.2021 bis 05.12.2021) verglichen:


In der gesamten Welle 2 waren ungefähr gleich viele Menschen positiv auf SARS-CoV-2 getestet worden wie im bisherigen Verlauf der 4. Welle. Die 2. Welle erstickte sich aber über einen deutlich längeren Zeitraum als die 4. Welle.
Erfreulicherweise setzt sich der Trend der vielen positiven Tests bei den Todesfällen nicht durch. Die CFR sink von 3,11 % in der zweiten Welle auf derzeit 0,45%. Ein Grund dafür ist in den Daten zu suchen. Viele Todesfälle sind noch nicht gemeldet. In den RKI Daten ist bei Todesfällen immer ein Meldeverzug von knapp 1 bis 2 Wochen. Außerdem werden einige Menschen die derzeit auf den Intensivstationen liegen den Kampf um ihr Leben verlieren.
Dennoch wird die CFR in Welle 4 niedriger sein als in Welle 2. Worauf sich dieser Rückgang zurückführen lässt, ist anhand der vorliegenden Daten nicht erklärbar. Die Daten eignen sich aber dafür die Berechnung von Kennwerten zu veranschaulichen und zu erklären. Wenn wir vereinfachend und faktisch falsch annehmen, dass der Unterschied zwischen 2. Welle und 4. Welle nur durch die Impfung zustande kommt, lässt sich dadurch die Schutzwirkung der Impfung berechnen.
Begriffserklärung: Schutzwirkung und relatives Risiko
Ende 2020 erschienen die Zulassungsstudien für die Impfstoffe von Biotech, Moderna und Astra Zeneca. In diesen Studien wurde jeweils auch die Schutzwirkung angegeben. In der Biontech-Studie heißt es beispielsweise:
BNT162b2 was 95% effective in preventing Covid-19 (95% credible interval, 90.3 to 97.6).
Safety and Efficacy of the BNT162b2 mRNA Covid-19 Vaccine
Unter COVID-19 verstehen die Autoren der Studie übrigens einen positiven Test auf SARS-CoV-2 sowie spezifische Symptomatik (Siehe auch Begriffserklärung Infektionen, SARS-CoV-2 und COVID-19).
Was die Autoren berichten ist die Reduzierung des relativen Risikos der Impfgruppe gegenüber der Kontrollgruppe an COVID-19 zu erkranken. Es lohnt sich kurz inne zu halten und zu registrieren, dass die Schutzwirkung auf symptomatische COVID-19 Verläufe, nicht aber in Bezug auf eine Infektion mit SARS-CoV-2 ermittelt wurde.
Zur Berechnung der Schutzwirkung RRR (relative risk reduction) der Impfung mit unseren Daten muss man folgendes rechnen:
RRR = 1 – (CFR_Welle_4 / CFR_Welle_2) = 1 – (0,45 % / 3,11 %) = 85,4 %
Die CFR von Welle 4 hat sich im Vergleich mit Welle 2 also um 85,4% reduziert. Nimmt man an, dass der Unterschied zwischen beiden Wellen einzig und allein auf die Impfung zurück zu führen ist, beträgt die (relative) Schutzwirkung der Impfung 85,4%.
Neben der RRR ist aber auch die ARR (absolute risk reduction) eine spannende Kennzahl für die Beschreibung der Schutzwirkung:
ARR = CFR_Welle_2 – CFR_Welle_4 = 3,11 % – 0,45 % = 2,66 %
Die absolute Schutzwirkung wäre „nur“ 2,66 % wohingegen die relative Schutzwirkung 85,4 % beträgt.
Für ARR und RRR ist der absolute Wert der CFR bedeutsam und beide Kennzahlen sollten möglichst zusammen betrachtet werden.
- Die relative Schutzwirkung ist unabhängig von der absoluten Gefährlichkeit einer Krankheit. D.h. Wenn die CFR von 50 % auf 5 % reduziert wird, ist die RRR genauso 90% wie bei einer Reduzierung von 0,5 % auf 0,05 %.
- Die absolute Schutzwirkung ist abhängig von der Gefährlichkeit der Krankheit. D.h. Wenn die CFR von 50% auf 5% reduziert wir ist die ARR = 45 %. Im Gegensatz dazu ist bei einer Reduzierung der CFR von 0,5 % auf 0,05 % die ARR = 0,05%.
Auch bei RRR und ARR ist also wieder Transparenz und Sachlichkeit nötig, um die Kennwerte richtig zu interpretieren und einzuordnen und anschließend Entscheidungen zu treffen oder Maßnahmen zu ergreifen.
Gerade bei den heiß diskutieren Themen Impfpflicht und Kinderimpfung wäre eine Betrachtung der RRR und ARR je Altersgruppe spannend. Die Differenzierung von Welle 2 und Welle 4 werde ich mir in meinem nächsten Artikel anschauen.