Klima 1: Klimaschutz ist im Kern konservativ und ein furchtbar paradoxes Problem

Dies ist der erste Beitrag eines vier-schrittigen Gedankenganges zu psychologisch-philosophischen Aspekten des Klimaschutzes:

  1. Klimaschutz ist im Kern konservativ und furchtbar paradox
  2. Beim Klimaschutz geht es nicht ums Klima sondern um Menschen
  3. Klimaschutz ist (auch) ein Versuch die eigene Sterblichkeit zu bearbeiten
  4. Zusammenfassung der psychologischen Ideen zum Umgang mit Klimaschutz

Mit meinen Gedankengängen möchte ich Diskussion und eigenes Nachdenken anregen. Dazu möchte ich meine psychologisch-philosophische Perspektive auf das Thema Klimaschutz anbieten.

Intro: Das fortschrittliche Gewand des Klimaschutzes

Klimaschützer als konservativ zu bezeichnen scheint wie eine Beleidigung. Grüne Politiker, Klimaforscher und Aktivisten warnen dringlich vor den Folgen des Klimawandels und rufen dazu auf jetzt! – sofort! – dringend! – umfangreiche politische und wirtschaftliche Veränderungen anzustoßen.

Wie komme ich auf die kuriose Idee, diese fortschrittlichen Menschen als konservativ zu bezeichnen? Sie wollen die Welt verändern, am besten sofort und umfangreich: Für eine grüne, CO2-neutrale und grundsätzlich bessere Zukunft! Klimaschützer wollen den Ressourcen- und Umweltzerstörenden Status Quo nicht beibehalten und konservieren, sie können doch gar nicht konservativ sein?!

Ich sehe es so: Klimaschützer sind konservativ und gleichzeitig fortschrittlich. Diese Aussage klingt paradox. Wie kann jemand gleichzeitig konservativ und fortschrittlich sein – schließen sich die beiden Eigenschaften nicht aus? Durch eine Analyse in welchen Aspekten Klimaschützer fortschrittlich und wo sie konservativ handeln, lässt sich der Widerspruch zumindest teilweise auflösen.

Klimaschutz bedeutet Alles zu ändern, damit Alles gleich bleibt

Die geforderten fortschrittlichen Veränderungen betreffen den Umgang mit Ressourcen, politische Maßnahmen und individuelles Verhalten. Der Fokus der Veränderungen und Maßnahmen liegt auf der Ebene von Handlungen. Gefordert werden neue Technologien, Gesetze und Geschäftsmodelle. Die Forderungen sind umfangreich, teilweise radikal und betreffen alle Bereiche menschlichen Zusammenlebens. Sie sind also vieles, aber nicht konservativ.

Es braucht die Warum?-Frage nach dem Sinn und Hintergrund der Forderungen um den konservativen Kern der Forderungen zu beleuchten: Das derzeitige Klima und das weltweite natürliche Ökosystem soll erhalten werden. Die Logik dahinter ist einfach und stichhaltig:

  1. Mit unserem aktuellen Wirtschaften und Verhalten zerstören wir das weltweite Ökosystem
  2. Das weltweite Ökosystem soll aber nicht zerstört sondern bewahrt und erhalten werden
  3. Um das Ökosystem zu erhalten, brauchen wir Veränderungen und zwar jetzt und dringend!

So schnell wird aus einem konservativen Gedanken (Ökosystem bewahren) eine fortschrittliche Forderung (Veränderungen jetzt!)

Ich möchte noch einen Schritt weitergehen und stelle erneut die Warum-Frage: Warum soll das Ökosystem bewahrt werden? Die Antwort ist recht einfach: Das Ökosystem ist die Grundlage des aktuellen menschliche Lebens und Wohlstandes. Das Ökosystem zu bewahren bedeutet, die Art und Weise, wie wir heute leben, zukünftig zu ermöglichen. Das Wort „enkelgerecht“ bringt die konservative Idee „Mein Enkel soll so komfortabel leben können wie ich“ auf den Punkt.

Die fortschrittlichen und teils radikalen Forderungen von Klimaschützern haben demnach zwei konservative Kerne:

  1. Das Ökosystem soll weiterhin bestehen, so wie es ist
  2. Unser Lebensstandard soll weiterhin bestehen, so wie er ist

Die paradoxe Formel „Alles soll sich ändern, damit alles so bleibt wie es ist“ fasst den Sachverhalt zusammen und erklärt wie Fortschritt und Konservatismus verwoben sind.

Die kontinuierliche Annäherung von Konservativen und Grünen

Mir erscheint, dass diese paradoxe Sichtweise auf Klimaschutz und Nachhaltigkeit sich in den letzten Jahren entwickelt hat und mittlerweile – zumindest in Deutschland – die politische Mitte bildet.

Die zunehmende Integration von Klimaschutz und Nachhaltigkeit in neue Geschäftsmodelle z.B. mit der Idee der Kreislaufwirtschaft stellt ein Beispiel für diese Paradoxie dar: Wir brauchen dringend neue nachhaltige Geschäftsmodelle und Ideen (Alles soll sich ändern), damit unser kapitalistisches, wachstumsorientiertes Wirtschaftssystem weiterhin bestehen kann (damit alles so bleibt wie es ist).

Ein konkreteres Beispiel, das die öffentliche Diskussion prägt, ist das Thema Elektromobilität. Der Umstieg von Verbrennungsmotoren auf Elektromotoren bedeutet einen gigantischen Umbau von Industrie, Infrastruktur und Geschäftsmodellen. Das Ziel des Ganzen besteht darin, individuelle Mobilität auch zukünftig – aber (lokal) emissionsfrei – zu ermöglichen. Kurz gesagt: Mobilität muss grundsätzlich neu gedacht werden (Alles muss sich ändern), um die heutige Mobilität von Menschen zu erhalten (damit alles so bleibt wie es ist).

Die paradoxe Entwicklung des Klimaschutzes zeigt sich in Deutschland auch politisch durch die Annäherung von Grünen und CDU/CSU. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass zum Ende des Jahres 2021 eine schwarz-grüne Koalition Deutschland regieren wird. Etwas überspitzt und einseitig zugeordnet, passt auch hier die Formel: Alles muss sich ändern (Grüne), damit alles so bleibt wie es ist (CDU/CSU). Eine rein symbolische Krönung für diese paradoxe Beziehung wäre, wenn die erste Kanzlerin durch die erste grüne Kanzlerin abgelöst wird.

Maximal vereinfacht, ergibt sich für mich folgende Zuordnung des paradoxen Grundproblems:

  • Alles muss sich verändern, = Mehr Klimaschutz, Nachhaltigkeit und Emissisonsfreiheit
  • damit alles so bleibt wie es ist = Erhalt von wirtschaftlichem Wachstum und Kapitalismus als Wohlstandstreiber

Klimaschutz braucht bewussten Umgang mit Paradoxien

Ich möchte mich mit meinem Gedankengang an dieser Stelle etwas vom Klimawandel entfernen und eine eher psychologisch-philosophische Perspektive auf Paradoxien und den Umgang mit ihnen einnehmen. Zum Schlusss versuche ich den bogen zurück zum Anfang zu spannen.

Die paradoxe Formel „Alles muss sich ändern, damit alles so bleibt wie es ist“ hat den großen Nachteil, dass sie nicht einfach oder widerspruchsfrei realisierbar ist. Mit einem Sprichwort ausgedrückt: „You can’t have the cake and eat it.“ Auf Deutsch: „Du kannst den Kuchen nicht essen und ihn gleichzeitig behalten“. Die meisten Menschen haben eine geringe Ambiguitätstoleranz, erleben Paradoxien als äußerst unangenehm und streben danach sie aufzulösen. Aus meiner Sicht gibt es zwei langfristig ungünstige, aber kurzfristig nützliche Wege mit Paradoxie umzugehen.

Der erste mögliche Umgang mit Paradoxie erwächst aus dem Eindeutigkeitsanspruch westlicher Philosophie, monotheistischer Religionen und moderner Naturwissenschaft: Finde die richtige Variante und entscheide dich für sie, also:

  • ENTWEDER iss den Kuchen (Alles muss sich ändern)
  • ODER behalte den Kuchen (alles bleibt so wie es ist)

Ich halte die Idee von „das Richtige“ für grundsätzlich problematisch und habe dazu an anderer Stelle schon etwas geschrieben.

Der Vorteil des ENTWEDER-ODER ist der Gewinn an Klarheit, Einfachheit und Sicherheit. Gleichzeitig entstehen Extrem-Pole, die sich sozial- und gruppendynamisch manifestieren können: ENTWEDER du bist Kuchenesser ODER du bist Kuchenbehalter. ENTWEDER du bist Kapitalist ODER du bist Klimaschützer. Die aufgezwungene Entscheidung erzeugt Eindeutigkeit, Sicherheit, Zugehörigkeit und stiftet Identität. Der Nachteil des Entscheidungszwanges ist das Stress-Erleben des Zwanges selbst, der Verlust von differenzierenden Zwischenbereichen und die Gefahr von Extremismus. Diese Nachteile lassen sich in der medialen Diskussion um Corona-Maßnahmen derzeit eindrücklich besichtigen.

Die zweite Möglichkeit mit Paradoxie umzugehen ist, sie nicht anzuerkennen und sich mit anderen, weniger paradoxen Problemen zu beschäftigen. Der folgende Satz beschreibt den Aspekt des Nicht-Anerkennens: „Natürlich kannst du den Kuchen essen und ihn behalten.“ Die meisten Menschen erkennen, dass dieser Satz nicht stimmen kann. Da Menschen clevere Wesen sind, modifizieren sie den Satz etwas und führen so ein weniger paradoxes Probleme ein, mit dem sie sich beschädigen können: „Natürlich kannst du den Kuchen essen und ihn behalten – du musst es nur sehr klug anstellen.“ Es geht dann nicht mehr um das Problem des paradoxen Kuchens, sondern um die Aufgabe kluge Lösungen zu finden.

Aus meiner Sicht gehen wir derzeit mit diesem Ansatz an das Thema Klimawandel und Nachhaltigkeit heran: „Natürlich lassen sich Wachstums-Kapitalismus, Klimaschutz und Nachhaltigkeit vereinbaren – wir brauchen nur die richtigen Technologien, Gesetze und Geschäftsmodelle.“ Durch den Zusatz verschiebt sich der Fokus von der eigentlichen Paradoxie zwischen Kapitalismus und Klimawandel auf Handlungsoptionen. Anstrengungen richten sich auf die richtigen Technologien, Gesetze und Geschäftsmodelle, statt sich mit dem paradoxen Kernproblem zu beschäftigen. Dieses Vorgehen ist sehr nützlich und birgt große Vorteile:

  • Die unangenehme Beschäftigung mit Paradoxie entfällt, was zu weniger Unsicherheit führt.
  • Die Beschäftigung mit Technologien, Gesetzen und Geschäftsmodellen ermöglicht ein hohes Erleben von SelbstwirksamkeitMan kann etwas Wirksames tun und ist beschäftigt. Das fühlt sich (für viele Menschen) gut an.
  • Die Investitionen in Technologie, Gesetze und Geschäftsmodelle führen zu realen, erlebbaren Verbesserungen. Ein Beispiel: Den Umbau eines grauen Betonparkplatzes in einen grünen Park kann ich beobachten, dazu beitragen und den Park erleben

Dieses Vorgehen wird dadurch begünstigt, dass weder der Zusammenhang von Klimawandel und Konsum (Kapitalismus), noch die Folgen des Klimawandels direkt erlebbar sind. Die Zusammenhänge sind zu komplex und die Folgen zu weit in der Zukunft, als dass ein Mensch sie unmittelbar erleben könnte. Filme, wie „The Day after Tomorrow“ versuchen die Folgen des Klimawandels greifbarer zu machen. Sie müssen dabei aber auf sprunghafte Veränderungen zu einem Zeitpunkt zurückgreifen, die den langsamen Veränderungen der Realität (und damit dem täglichen Erleben der Menschen) nicht entsprechen, wodurch es wiederum leicht ist, den Film als fiktives Kunstwerk einzuordnen (was er ja auch aber nicht ausschließlich ist).

Leider gibt man sich einer Illusion hin, wen man Paradoxie einfach ignoriert, Vereinbarkeit von Klimawandel und Kapitalismus annimmt und sich auf die Suche nach cleveren Lösungen begibt. Die zwei gravierenden Nachteile bestehen darin, dass (1.) das eigentliche Problem nicht bearbeitet wird und man (2.) Aufwand betreiben muss um die Illusion aufrecht zu erhalten. Letzteres funktioniert z.B. durch kognitive Dissonanzreduktion, selektive Wahrnehmung oder Verdrängung. Die Enistellung Klimawandel leugnen kann hier als Extrembeispiel dienen: „Da es den Klimawandel nicht gibt, ist Klimaschutz unnötig und problemlos mit Kapitalismus vereinbar.“. Die Unmöglichkeit die Folgen des Klimawandels oder makroskopische Zusammenhänge direkt (hautnah statt abstrakt-rational oder durch Kunst) zu erleben, macht es vergleichsweise einfach, die Illusion aufrecht zu erhalten.

Zum Schutz der eigenen Psychohygiene und zur Steigerung des eigenen Wohlbefindens ist die Nutzung von Illusionen übrigens äußerst legitim, erfolgreich und weit verbreitet. Im Fall von Klimaschutz und Kapitalismus können die positiven Effekte der Illusion genossen werden, mit einer gleichzeitig geringen Gefahr, dass die Illusion und dazugehörige stabilisierende Schemata durch reale Erfahrungen irritiert werden. Es ist gut möglich (und nicht verwerflich!) auf diesem Pfad ein glückliches Leben zu führen.

Ich halte den „Illusions-Ansatz“ als Umgang für die Paradoxie von Klimawandel und Kapitalismus dennoch (mindestens langfristig) für ungünstig. Das liegt vor allem daran, dass das eigentliche Problem nicht bearbeitet wird.

Das eigentliche Problem sind die Veränderungen durch den Klimawandel und die koordinierte Reaktion der Menschheit darauf. Hier schließt sich der Kreis zum Beginn des Artikels. Zu Beginn habe ich die unterschiedlichen Aspekte herausgearbeitet, hinsichtlich derer Klimaschützer als konservativ oder fortschrittlich bezeichnet werden können. Den gleichen Ansatz empfehle ich für den Umgang mit der Formel „Alles muss sich ändern, damit alles so bleibt wie es ist„. ENTWEDER-ODER und Verleugnung sind langfristig ungünstig.

Der erste Schritt ist anzuerkennen, dass eine Realisierung der Formell „Alles muss sich ändern, damit alles so bleibt wie es ist“ und der damit verbundenen Hoffnungen zwar wünschenswert, aber leider nicht möglich ist. Dieser Anerkennungsschritt bedeutet für die meisten Menschen eine massive Erschütterung von Grundannahmen (Schemata, Glaubenssätze, Skripte) über die Beschaffenheit der Welt. Das unmittelbare Ergebnis dieser Erschütterung ist psychischer Stress. Um mit diesem Stress umgehen zu können braucht es eigene psychische Ressourcen und Trost (Resonanz und Mitgefühl: Wie Trost gelingt von Frank Staemmler kann ich zu diesem Thema wärmstens empfehlen.)

Ich halte es für kurz- bis mittelfristig und aus psychologischer Sicht für clever und eine funktionale Strategie, sich diese Erschütterungen zu ersparen und einfach an die Vereinbarkeit von Klimaschutz and Kapitalismus zu glauben. Die stabilisierende Wirkung für das globale System und die individuelle Psyche dieser Illusion sind gigantisch und äußerst wertvoll. Als stützendes Beispiel können Menschen (z.B. Nietzsche) und Figuren (z.B. Faust) dienen, die konsequent versuchten Illusionen aufzulösen und zu hinterfragen. Sie sind eher nicht als besonders glückliche oder lebensfrohe Zeitgenossen bekannt.

Ist die Erschütterung des Illusionsverlustes überwunden, entsteht die Möglichkeit differenziert mit dem vorliegenden paradoxen Problem umzugehen. Die Anerkennung der Paradoxie ermöglicht Gewinne und Verluste als untrennbar verknüpft zu verstehen. Die jeweiligen Verluste und Gewinne unterschiedlicher Szenarien können dann bewusst abgewägt werden. (Hier ist übrigens ein Anknüpfungspunkt zum Konzept der Komplexität, also der Nicht-Existenz optimaler, verlustfreier Lösungen). Um dieses Abwägen zu ermöglichen finde ich folgende Fragen äußerst hilfreich.

  • Welche Veränderungen begrüße ich und wovon nehme ich deswegen Abschied?
  • Was möchte ich bewahren und worauf verzichte ich deswegen?

Ich glaube, dass diese Fragen die Kernfragen zur Bearbeitung der Paradoxie zwischen Kapitalismus und Klimaschutz sind. Vorausgesetzt, man entscheidet sich dafür dieses Problem zu bearbeiten. (Diese Entscheidung ist übrigens selbst wieder ein paradoxes Problem, wie anhand meiner Ausführungen hoffentlich deutlich wurde.) Darüber lassen sich die Fragen, für jeden persönlichen oder organisationalen Veränderungsprozess und grundsätzlich für paradoxe und komplexe Probleme nutzen. Voraussetzung dafür ist das Aufgeben von gewissen Sicherheits-spendenden Grundannahmen und ein Einlassen auf Unsicherheit, mehrfache Ambivalenz.

Ausblick: Die Gleichgültigkeit des Klimas

Im nächsten Schritt des Gedankenganges soll es um die Kuriosität des Begriffes Klimaschutz gehen und inwiefern das Klima überhaupt beschützt werden kann. Es wird sich zeigen, das Klimaschutz wenig mit der Schutzbedürftigkeit des Klimas selbst zu tun hat.

Ein Kommentar zu “Klima 1: Klimaschutz ist im Kern konservativ und ein furchtbar paradoxes Problem

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